pressespiegel

       

      Party und Polit-Rock

      Es ist richtig was los auf der Leibnizplatz-Bühne

      Die Premierengäste grölen "Das ist unser Haus", und die vierköpfige Band gibt der Theateratmosphäre eine aufgeheizte, verrucht anmutende Konzert-Aura. "Wir sind geboren, um frei zu sein", verkündet Sebastian Mirow singend das Credo Rio Reisers, und alles wippt mit - bis die RAF der Utopie ein Ende bereitet. In Form eines blutigen, abgetrennten Kopfes. Der Applaus für die Musik verstummt abrupt. Eben doch: Theater - und was für eins.

      Natürlich: "Rio Reiser - Der Kampf ums Paradies", geschrieben und inszeniert von Pit Holzwarth und Renato Grünig, ist ein Stück, das sehr viel will; die Geschichte der Kult-Band "Ton Steine Scherben" will es erzählen, die gesellschaftlichen Umstände der siebziger Jahre offen legen und vor allem zeigen, was die handelnden Figuren antreibt - ob Musiker, Terroristen oder Terroristen-Jäger. Trotz der rund dreistündigen Spieldauer (ohne eine Sekunde Langeweile!) gelingt dies auf Grund der Vielschichtigkeit der Figuren zwar nicht immer - unterm Strich stört das aber kaum, wird pralles, lebendiges Theater geboten. Wenn die RAF-Leute in der Isolationshaft von der Befreiung der Mogadishu-Geiseln erfahren, sich der BKA-Chef in die Psyche von Andreas Baader hineindenkt, dann sind das starke Bilder, die haften bleiben; die besten Momente hat die Inszenierung aber in Verbindung mit ihrer Hauptfigur. Der früh gestorbene "Scherben"-Sänger, hervorragend verkörpert von Sebastian Mirow, wird als eckiger Träumer gezeigt, der sich nicht immer der Konsequenzen seines Tuns bewusst ist und doch sein Umfeld dominiert. Holzwarth und Grünig gelingen wunderbare Übergänge zwischen Bandgeschichte und deutscher Geschichte, etwa wenn Konventionen in die Träume der Musiker einbrechen und ein Sechziger-Jahre-Medley im "Ho-Chi-Minh"-Ruf endet. - Aus einem insgesamt überzeugenden Ensemble ragen neben Mirow Micha Meyer und Susanne Höhne heraus. Ein Theaterbesuch, der Pflicht sein sollte!

      schü
      ["Die Welt", 31. Januar 2002]